Reportagen ohne Grenzen

Die polnische Schule der Reportage ist ein in Deutschland immer noch weitgehend unbekannter Begriff. Bekannt sind die Namen Ryszard Kapuścińskis – eines der meistübersetzten polnischen Autoren – und Hanna Kralls, die jedoch in Polen selbst schon zu den Klassikern dieser literarischen Gattung zählen.

Die heutigen Vertreter der polnischen Reportageschule gehören somit bereits zur zweiten Generation. Sie wandeln zwar auf Kralls und Kapuścińskis Spuren; dennoch sind die von ihnen vorgestellten Themen und die literarischen Formen, derer sie sich bedienen, einzigartig und modern. Sie beschäftigen sich mit aktuellen gesellschaftspolitischen Geschehnissen sowohl im eigenen Land als auch auf der ganzen Welt – sie schreiben Reportagen ohne Grenzen.

Im Laufe des Jahres 2013 haben wir deutschen Leserschaft eine Auswahl bekannter polnischer Reportagenschreiber vorgestellt und in insgesamt zehn Gesprächen einen Autor und dessen neuestes Buch präsentiert. Zusätzlich zum Autorengespräch wurden dabei ausgewählte Textstellen aus dem Buch in deutscher Übersetzung vorgetragen.

Interview: Zwischen Journalismus und Literatur. Lisa Palmes über die Reihe „Reportagen ohne Grenzen“.

Wojciech Jagielski: Brennendes GrasLidia Ostałowska: WasserfarbenWitold Szabłowski:Der Attentäter aus der AprikosenstadtWojciech Górecki: AbchasienFilip Springer: Schlecht geborenPaweł Smoleński: Der Araber schießt, den Juden freut's...Małgorzata Rejmer: Bukarest. Blut und StaubAnna Bikont: Wir aus JedwabneAngelika Kuźniak: PapuszaJacek Hugo-Bader: Kolyma-Tagebuch

Wojciech Jagielski: Wypalanie traw [Brennendes Gras]

Brennendes GrasDas Buch: Nichts in dem zerschlagenen Gesicht erinnert noch an den furchterregenden Eugène Terre’Blanche. Die beiden Mörder, schwarze Farmarbeiter, versuchen nicht zu fliehen. Sie rufen selbst die Polizei. Schließlich haben sie nur Gerechtigkeit walten lassen.
Das Ende des wahnwitzigen Systems der Rassentrennung. Die Weißen haben die Herrschaft in Südafrika an die schwarze Mehrheit übergeben – außer in der Heimatstadt Terre’Blanches. Den selbsternannten „Burengeneral“ betreffen die von den Verrätern unterzeichneten Regierungsabkommen nicht. In Ventersdorp soll alles bleiben wie von Gott gewollt: die Buren für sich, die Schwarzen für sich, die britischen Nachkommen für sich.
Wojciech Jagielskis scharfe Beobachtungsgabe und sein meisterhaftes schriftstellerisches Können verwandeln das Hier und Jetzt einer südafrikanischen Kleinstadt in eine universale Erzählung über die Enttäuschungen, die jede große gesellschaftliche Revolution mit sich bringt.
Ein detailliertes Portrait der Apartheid und ihrer Folgen, das seinesgleichen sucht.

Wojciech JagielskiDer Autor: Wojciech Jagielski, geboren 1960, ist Journalist und Reportagenschreiber und lebt in Warschau. In den 1980er Jahren begann er als Journalist für die Polnische Presseagentur PAP; seit 1991 arbeitet er für die „Gazeta Wyborcza“. Seine Spezialgebiete sind Afrika, Zentralasien und der Kaukasus. Bislang veröffentlichte er vier Bücher: Dobre miejsce do umierania (Ein guter Platz zum Sterben; 1994), Modlitwa o deszcz (Regengebet; 2002, nominiert für den Literaturpreis Nike und den Józef- Tischner-Preis), Wieże z kamienia (Steinerne Türme; 2004) sowie Wanderer der Nacht (PL 2009; D 2010; nominiert für den Literaturpreis Nike). Jagielski wurde u.a. mit den folgenden Preisen ausgezeichnet: dem Preis der Polnischen Journalistenvereinigung (1995, der sog. „polnische Pulitzer“), dem Dariusz-Fikus-Preis (2002) und dem goldenen Abzeichen der polnischen Presseagentur (2005). Er wird zwar gern und häufig mit Ryszard Kapuściński verglichen, ging jedoch von Anfang an seinen eigenen schriftstellerischen Weg (Quelle: www.znak.com.pl).

Textauszüge: Wojciech Jagielski: Wypalanie traw [Brennendes Gras]

Lidia Ostałowska: Farby wodne [Wasserfarben]

WasserfarbenDas Buch: Farby wodne ist eine Reportage über die Geschichte einiger Roma-Portraits, die die tschechische Jüdin und Studentin der Kunstakademie Dina Gottliebova 1943/44 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau im Auftrag von Lagerarzt Doktor Mengele anfertigte. Nach der Befreiung des Lagers gelangen die Aquarelle 1963 über Umwege in das Museum KL Auschwitz-Birkenau. Als es gelingt, die inzwischen in den USA lebende Malerin ausfindig zu machen, entbrennt Mitte der 1990er Jahre ein Konflikt um die Frage nach dem Eigentümer der Bilder. Wer ist dieser Eigentümer – die Malerin? Die unter Zwang als Modelle einer minderwertigen Rasse portraitierten Roma? Oder das Museum KL Auschwitz-Birkenau, in dem die dort verübten Verbrechen gegen die Menschheit dokumentiert sind? Farby wodne ist eine Studie zum Umgang mit einem unter unmenschlichen Bedingungen entstandenen Erbe. Es ist ein Versuch der Annäherung an die Identität und Geschichte der Roma. Und es ist ein Versuch der Annäherung an die Frage, wo das Schicksal des Einzelnen endet und wo der Völkermord beginnt.

Lidia OstalowskaDie Autorin: Lidia Ostałowska, geboren 1954, ist Journalistin, Reporterin bei der „Gazeta Wyborcza” und Autorin zahlreicher Re­portagen über Menschen mit einem besonderen Schicksal: nationale und ethnische Minderheiten, Frauen, Jugendliche aus Subkulturen, von der Gesellschaft Ausgeschlossene. Im Jahr 2000 veröffentlichte sie einen Erzählband über die Roma in Europa, 2011 erschien die Reportage Farby wodne [Wasserfarben], die 2012 für den Literaturpreis NIKE nominiert war, und Ende 2012 ein Reportagen-Sammelband über „Polska B“, also Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben. Lidia Ostałowska ist Mitherausgeberin von „DIALOG – pheniben“, der Vierteljahrsschrift des Roma-Verbandes in Polen (Quelle: www.czarne.com.pl)

Textauszüge: Lidia Ostałowska: Farby wodne [Wasserfarben]

Inzwischen auf Deutsch erschienen: Lidia Ostałowska: Wasserfarben. Reportage. Aus dem Polnischen übersetzt von Lisa Palmes. KLAK Verlag, Berlin, 2015.

Witold Szabłowski: Zabójca z miasta moreli [Der Attentäter aus der Aprikosenstadt]

Der Attentäter aus der AprikosenstadtDas Buch: Der Attentäter aus der Aprikosenstadt ist eine Sammlung von Reportagen über die Türkei in ihrer Zerrissenheit zwischen Ost und West, zwischen Islam und Islamophobie, Konservatismus und Postmoderne, Sehnsucht nach Europa und Euroskepsis. Der Autor greift die unterschiedlichsten Aspekte und Themen auf, die dieses Land – als Bindeglied zwischen Europa und Asien – in Atem halten. Jede der Reportagen berichtet von einem besonderen Schicksal, jeder der Protagonisten bekommt die Gelegenheit, seine ganz eigene Geschichte zu erzählen, und ist nicht selten selbst erstaunt über seinen Mut zum offenen Gespräch mit dem polnischen Journalisten. Afrikanische Immigranten, junge Mädchen auf der Flucht vor der Bedrohung namens Ehrenmord, Ali Ağca – das ist nur ein kleiner Teil des farbenfrohen, aber nicht zwangsläufig fröhlichen Reigens, der uns mitten in die Türkei hineinführt, in das Herz einer Nation, die – infiziert vom Europäismus – dabei ist, ihren gleichmäßigen, traditionellen Lebensrhythmus zu verlieren.

Witold SzablowskiDer Autor: Witold Szabłowski (geb. 1980) ist Politikwissenschaftler, Schriftsteller und Journalist bei der „Gazeta Wyborcza“. Sein Studium absolvierte er in Warschau und Istanbul. Im Auftrag von CNN Türk bereiste er die ganze Türkei; in Polen begann er seine journalistische Karriere als Mitarbeiter beim Fernsehsender TVN 24. Bei der „Gazeta Wyborcza“ ist er seit 2006 beschäftigt. Für seine Reportagen erhielt er bereits mehrere Journalistenpreise, u.a. 2007 den Melchior-Wańkowicz-Preis für die beste Reportage, eine Auszeichnung von Amnesty International und 2010 den Journalistenpreis des Europäischen Parlaments. Sein Band Der Attentäter aus der Aprikosenstadt wurde 2011 mit dem Beate-Pawlak-Preis für Werke zum Thema Religion, Kultur und Zivilisation ausgezeichnet (Quelle: www.czarne.com.pl)

Textauszüge: Witold Szabłowski: Zabójca z miasta moreli [Der Attentäter aus der Aprikosenstadt]

Inzwischen auf Deutsch erschienen: Witold Szabłowski: Weil ich dich liebe, Schwester. Reportagen aus der Türkei. Aus dem Polnischen von Joanna Manc. Vliegen Verlag, Berlin, 2015.

Wojciech Górecki: Abchazja [Abchasien]

AbchasienDas Buch: Abchasien hat sein eigenes Staatsgebiet, seine eigenen Grenzen und Bürger. Einen Präsidenten, einen Premierminister, ein Parlament und eine Armee. Die Zentrale Wahlkommission organisiert Wahlen, die Post gibt Briefmarken heraus. Der dreißig Jahre alte Helikopter der Abchasischen Fluggesellschaft fliegt Passagiere von Suchumi nach Pschu im Hochgebirge, und die Bürger werden von der Presseagentur Apsnypress, dem Fernsehen, Radio, Zeitungen und Internet auf dem Laufenden gehalten.
Der Rest der Welt – mit Ausnahme von Russland, Nicaragua, Venezuela, Nauru, Vanuatu und Tuvalu – erkennt Abchasien nicht als eigenes Land an, sondern sieht es als einen Teil von Georgien.
Wojciech Górecki hat alles mit eigenen Augen gesehen: den Krieg, nach dem Georgien die Kontrolle über die Republik verlor, das Nachkriegschaos, die wacklige Stabilisierung des nächsten Jahrzehnts und die zweideutige Unabhängigkeit, in der Moskau diplomatische Beziehungen mit Suchumi aufnahm. Er durfte miterleben, wie der abchasische Staat sich bildete, weiterentwickelte und auf den Zusammenbruch zuging. In Abchasien, dem dritten Band aus seiner Kaukasus-Trilogie, schildert Górecki seine Erfahrungen aus zwei Jahrzehnten.

Wojciech GoreckiDer Autor: Wojciech Górecki, geboren 1970, ist Russland-Experte am Warschauer Zentrum für Oststudien, Schriftsteller und Journalist (u.a. für die Zeitungen „Gazeta Wyborcza“, „Życie Warszawy“, „Rzeczpospolita“, „Więź“, „Res Publica Nowa“ und „Tygodnik Powszechny“. Darüber hinaus ist er Redaktionsmitglied bei der Kulturzeitschrift „Tygiel Kultury“ und fester Mitarbeiter bei der Zeitschrift „Nowa Europa Wschodnia“ sowie Co-Autor des Dokumentarfilms Boskość Stalina w świetle najnowszych badań [Stalins Göttlichkeit im Lichte der neuesten Forschungen] (TVP 1998) (Quelle: www.czarne.com.pl; Wojciech Górecki).

Textauszüge:

Textauszüge: Wojciech Górecki: Abchazja [Abchasien]

Filip Springer: Źle urodzone [Schlecht geboren]

Schlecht geborenDas Buch: Die Bahnhöfe von Warschau und Kattowitz, der Posener „Okrąglak“ („Rundling“), die Wetterstation auf der Schneekoppe, der Warschauer „Chemiepavillon“ und das Kaufhaus „Supersam“… – Ikonen der modernen Architektur aus den Zeiten der VR Polen. Für die einen verdienen diese Bauten Bewunderung und Anerkennung, für die anderen sind es scheußliche Baracken, die dem Erdboden gleichgemacht werden müssten. Warum sorgen sie für solche Kontroversen? Wie waren die Umstände ihrer Entstehung und warum gibt einige von ihnen bereits nicht mehr?
Schlecht geboren erzählt nicht nur von den wundersamen Geschicken dieser Gebäude, sondern auch die Geschichten ihrer Schöpfer. Auf den Seiten des Buches erscheinen die Potraits führender Persönlichkeiten der polnischen Architektur. Filip Springer präsentiert sie als Menschen aus Fleisch und Blut, versucht ihre Beweggründe und künstlerische Haltung zu verstehen und nachzuvollziehen, auf welche Weise sie ihre Ideen in einem System der Planwirtschaft umsetzten. Der Text wird von 200 Fotografien illustriert, die aus Archiven stammen oder die der Autor selbst angefertigt hat, um den heutigen Zustand dieser einstigen Ikonen der Moderne festzuhalten.

Filip SpringerDer Autor: Filip Springer, geb. 1982, ist als Reporter und Fotograf für verschiedene Medien in ganz Polen tätig, u.a. “Polityka”, “Rzeczpospolita”, “Przekrój“ und „Newsweek”. Vor zwei Jahren erschien sein erster Reportageband Miedzianka. Historia znikania [Kupferberg. Eine Geschichte vom Verschwinden; Czarne 2011]. Źle urodzone [Karakter 2012] ist Springers zweiter Reportageband, und soeben ist das dritte Buch erschienen: eine Biographie des Architektenpaares Zofia und Oskar Hansen [Karakter 2013] (Quelle: www.karakter.pl).

Textauszüge: Filip Springer: Źle urodzone [Schlecht geboren]

Inzwischen auf Deutsch erschienen: Filip Springer: Kopfgeburten. Architekturreportagen aus der Volksrepublik Polen. Aus dem Polnischen Von Lisa Palmes. DOM publishers, Berlin, 2015.

Paweł Smoleński: Arab strzela, Żyd się cieszy [Der Araber schießt, den Juden freut’s…]

Der Araber schießt, den Juden freut's...Das Buch: Wird über Israel geschrieben, dann gewöhnlich vom politischen oder touristischen Gesichtspunkt her. Entweder der jüdische Staat oder wahlweise seine Gegner werden angegriffen oder auch verteidigt – oder aber der Autor flüchtet sich in Beschreibungen des Tempelbergs, des Strands von Tel Aviv und der Golanhöhen. Nur, dass dies kaum gelingen kann – denn das, was in einer touristischen Beschreibung Platz findet oder auch nicht, ist zwangsläufig auch immer politisch. Jedes Austarieren der Proportionen zwischen dem Jüdischen, Christlichen, Muslimischen, zwischen dem Jüdischen und dem Arabischen oder zwischen dem Israelischen und dem Palästinensischen – wird niemals weniger politisch sein als ein politisches Pamphlet. […] Aus dieser Falle fand Paweł Smoleński einen überaus eleganten Ausweg: Er schreibt weder politisch noch touristisch über Israel. Er schreibt ganz einfach darüber, wie es ist, wenn man an einem Ort lebt, an dem sogar das Touristische politisch ist. […] Smoleński betrachtet Israel hier mit den traurigen arabischen Augen seiner arabischen Gesprächspartner – und ganz zu Recht gefällt ihm nicht, was er da sieht. Hauptsächlich deshalb, weil Israel an sich ihm schon gefällt. Aber eigentlich nicht so sehr Israel selbst wie die Idee von Israel. Von einem Israel, in dem der Jude sich tatsächlich freut, wenn der Araber schießt … denn gemeinsam haben sie es hingekriegt. (Aus der Einleitung von Konstanty Gebert)

Pawel SmolenskiDer Autor: Paweł Smoleński, geb. 1959, ist Reporter, Journalist und Schriftsteller. Seit 1989 ist er bei der Gazeta Wyborcza beschäftigt, in der Zeit davor arbeitete er für verschiedene inoffizielle Zeitschriften. Der Araber schießt, den Juden freut’s… ist sein drittes Buch zum Thema Israel (Quelle: Buchinstitut Krakau).

Textauszüge: Paweł Smoleński: Arab strzela, Żyd się cieszy [Der Araber schießt, den Juden freut’s…]

Małgorzata Rejmer: Bukareszt. Kurz i krew [Bukarest. Blut und Staub]

Bukarest. Blut und StaubDas Buch: Bukarest sitzt für mich nahe der Eingeweide, ist instinktiv, unlogisch. Es ist wie siedendes Wasser oder Meeresbrandung, brodelnd und trübe. […] Ich fragte meine Freunde, was schön an Bukarest sei. Sie antworteten: ‚Bukarest ist wie ein Sonntagskuchen; es wirkt schokoladig und süß, hat aber einen bitteren Guss. Leicht zugängliche Schönheit findet man hier nicht.‘
Ungeniertheit, Hysterie der Stile, schöne Fassaden. Neben Bukarest scheint jede andere europäische Stadt so statisch, dass es geradezu langweilig ist“, schreibt Małgorzata Rejmer im Klappentext zu ihrem Buch.
Mit Bukareszt ist Rejmer eine Beschreibung Rumäniens gelungen, die alles hat, was eine gute Reportage ausmacht: Dichte, geradezu poetische Schilderungen des Stadlebens, geschichtliche Hintergründe, kritische Einblicke und sogar ein „Drama in fünf Akten“ über die Revolution, bei der Ceauşescu gestürzt wurde, sowie verschiedene „Schnappschüsse“ – Momentaufnahmen und eigene Reflexionen.

Malgorzata RejmerDer Autor: Małgorzata Rejmer, geb. 1985, ist Schriftstellerin und Doktorandin am Institut für polnische Kultur der Universität Warschau. 2009 erschien ihr Debütroman Toksymia [Toximie], der für den Literaturpreis Gdynia nominiert wurde. Bukareszt ist ihr fulminantes Reportage-Debüt (Quelle: www.czarne.com.pl).

Textauszüge: Małgorzata Rejmer: Bukareszt. Kurz i krew [Bukarest. Blut und Staub]

Video: Gespräch Nr. 7 mit Małgorzata Rejmer

Anna Bikont: My z Jedwabnego [Wir aus Jedwabne]

Wir aus JedwabneDas Buch: 1941 kam es in dem von deutschen Truppen besetzten Polen, in Jedwabne, zu einem Pogrom an der jüdischen Bevölkerung durch polnische Nachbarn. Jahrzehntelang ging man davon aus, dass die deutschen Besatzer für das Pogrom verantwortlich waren. Die Aufdeckung der Wahrheit über Jedwabne führte 60 Jahre später zu einer der wichtigsten historischen Debatten in Polen nach 1989. Anna Bikonts Buch Wir aus Jedwabne, oft als wahrhaftige „Büchse der Pandora“ bezeichnet, ist eine sehr persönliche Aufzeichnung eines mühseligen Vordringens zur Wahrheit, der Wahrheit über die Ereignisse einiger Julitage im Jahr 1941 und aller ihrer Konsequenzen. Vor allem aber der Wahrheit über die Menschen, die die Autorin in Polen, Israel, den USA, Südamerika fand. Unter ihnen sind knapp entronnene Opfer, Mörder, Augenzeugen, einige wenige „Gerechte unter den Völkern“ und die zweite durch dieses Verbrechen gezeichnete Generation, die Kinder von Opfern und Mördern, die, die schon immer von dem Verbrechen wussten und ihr Schweigen nicht brechen wollten, und die, die der Wahrheit mutig ins Auge sahen, auch wenn diese Wahrheit bedeutet, dass sie in ihrem eigenen Vater einen Mörder sehen müssen. Vier Jahre lang sammelte Bikont unermüdlich Material in Bibliotheken und Archiven, legte hunderte von Kilometern zurück und sprach mit unzähligen Menschen, bis dieses Buch entstand.

Anna BikontDer Autor: Anna Bikont, geb. 1954 — Psychologin, Reporterin und Schriftstellerin. Bikont ist eine der Mitbegründerinnen des „Tygodnik Mazowsze“, einer Untergrundzeitschrift der Solidarność, die sie vom ersten Erscheinen 1982 bis zur Einstellung 1989 leitete, und der „Gazeta Wyborcza“, bei der sie bis heute tätig ist. Zuletzt erschien von ihr eine Biographie von Wisława Szymborska. Die französische Ausgabe von Wir aus Jedwabne [1. poln. Aufl. 2004, 2. Aufl. 2012] wurde 2011 mit dem European Book Prize ausgezeichnet (Quelle: www.czarne.com.pl).

Textauszüge: Anna Bikont: My z Jedwabnego [Wir aus Jedwabne]

Angelika Kuźniak: Papusza

PapuszaDas Buch: Bronisława Wajs, auf Romani „Papusza”, also „Puppe” war eine polnische Roma-Dichterin, entdeckt und gefördert von Jerzy Ficowski und Julian Tuwim. Ihre Gedichte, einfache Lieder voller Sehnsucht nach der Natur, machen dem kulturellen Erbe der Roma bis heute Ehre.
Die Berühmtheit, die sie dank ihrer Lyrik erlangte, erwies sich schnell als Fluch. Papusza wurde als Verräterin bezichtigt und von der Gemeinschaft der Roma verstoßen, was ihr Leben zerstörte. Viele Jahre hindurch lebte sie in Einsamkeit und Verachtung. Der Ausschluss wirkte sich stark auf ihre physische und psychische Gesundheit aus. Als Papusza 1987 starb, wurde sie weit entfernt von den Roma-Grabstätten beerdigt.
Angelika Kuźniak gelangte an wertvolle Archivmaterialien, die ein neues Licht auf das Schicksal dieser Legende der Roma-Dichtung werfen. Papuszas Tagebuch, ihre Briefe an Jerzy Ficowski oder die Korrespondenz mit Julian Tuwim sind ebenfalls unschätzbar wertvolle Informationsquellen über die Lebensrealität der polnischen Roma: das fahrende Leben, das Massaker von Wolhynien (Massaker durch ukrainische Nationalisten an der zivilen Bevölkerung des ehemaligen polnischen Ostgebiete während des 2. Weltkriegs), die Zwangsansiedlung, das Misstrauen der polnischen Bevölkerung, vor allem aber die Verbundenheit mit der Natur und die Liebe zur Freiheit. Papusza ist eine großartige Erzählung über eine Welt, die es nicht mehr gibt. Und über den Preis, den man für das Anderssein bezahlt.

Angelika KuzniakDie Autorin: Angelika Kuźniak — Schriftstellerin, Autorin der biographisch-literarischen Reportage Marlene (Czarne 2009) sowie Co-Autorin zweier Reportagen aus Włodzimierz Nowaks 2008 für den NIKE-Literaturpreis nominiertem Band Obwód głowy [Kopfumfang]. Kuźniak wurde bereits drei Mal mit dem polnischen Journalistenpreis Grand Press ausgezeichnet und mehrmals für den Deutsch-Polnischen Journalistenpreis nominiert (Quelle: www.czarne.com.pl).

Textauszüge: Angelika Kuźniak: Papusza

Jacek Hugo-Bader: Dzienniki kołymskie [Kolyma-Tagebuch]

Kolyma-TagebuchDas Buch: Ich fahre die Kolyma-Trasse, um zu sehen, wie es sich an einem solchen Ort, auf einem solchen Friedhof lebt. Dem längsten aller Friedhöfe. Kann man hier lieben, lachen, vor Freude schreien? Und wie weint man hier, zeugt Kinder und zieht sie groß, verdient Geld, trinkt Wodka, stirbt? Davon will ich schreiben. Und darüber, was die Leute hier essen, wie sie Gold waschen, Brot backen, beten, heilen, träumen, kämpfen, sich eins aufs Maul geben… Als ich lande, lese ich auf dem Flughafen bei Magadan auf einem großen Schild die Aufschrift: WILLKOMMEN IN KOLYMA – DEM GOLDENEN HERZEN RUSSLANDS”.

Jacek Hugo-BaderDer Autor: Jacek Hugo-Bader (geb. 1957) — Reporter bei der „Gazeta Wyborcza“ mit einer großen Begeisterung für Russland und die Länder der ehemaligen Sowjetunion, wo er insgesamt fast vier Jahre verlebte. Mit dem Fahrrad bereiste er ganz Zentralasien, die Wüste Gobi, China und Tibet, und den Baikalsee überquerte er mit dem Kajak. Im Winter 2007 unternahm er im Alleingang eine Autoreise von Moskau bis Wladiwostok, die er in seiner Reportagensammlung Biała gorączka [Weißes Fieber; ausgezeichnet mit dem Arkady-Fiedler-Preis für Reiseliteratur 2010] beschreibt. Im Jahr 2011 erschienen die Dzienniki kołymskie, Ergebnis einer – ebenfalls im Alleingang unternommenen – Reise entlang der Kolyma-Trasse. Sein Buch W rajskiej dolinie wśród zielska [Im paradisischen Tal inmitten von Unkraut] wurde für den NIKE-Literaturpreis nominiert. Jacek Hugo-Bader erhielt zwei Mal den Journalistenpreis Grand Press (1999, 2003) und den Hauptpreis der polnischen Journalistenvereinigung (Quelle: www.czarne.com.pl).

Textauszüge: Jacek Hugo-Bader: Dzienniki kołymskie [Kolyma-Tagebuch]

Inzwischen auf Deutsch erschienen: Jacek Hugo-Bader: Ins eisige Herz Sibiriens: Eine Reise von Moskau nach Wladiwostok. Aus dem Polnischen von Benjamin Voelkel. NG Taschenbuch, München, 2014.

Inhaltliche Konzeption:
Marcin Piekoszewski (buch|bund) & Lisa Palmes (Übersetzerin)

Organisation und Durchführung:
Martin Brand (Trialog e.V.), Lisa Palmes (Übersetzerin), Marcin Piekoszewski (buch|bund)
Trialog e.V. Lisa Palmes logo_buchbund
Förderer und Partner:
Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit, Polnisches Buchinstitut, ostpol, Polnisches Institut Berlin
Stiftung deutsch-polnische Zusammenarbeit Instytut Książki Polnisches Institut Berlin